LabRec: Vergangenes Verstehen

Gegenwärtigkeit unter dem Einfluss von Zeit & Historizität

2017•06•06

„Theorietradition“, eine fehlgeleitete Vorstellung. Wird Theorie zur Tradition, ist ihr heuristischer Nutzen bereits verspielt. Theorie muss ihre Belastbarkeit permanent prüfen und bestätigen, sie muss Methode bleiben und sich dem jeweiligen empirischen Fall angesichts der je spezifischen Situation kritisch aussetzen. Als traditionelles Denken verhärtet Theorie zur wissenschaftlichen Ideologie, die für einen erweiterten Beschreibungsumfang mit Erkenntnismöglichkeiten bezahlt.

Geschichte und Erzählung. Man kann sich auf Historiographie grundsätzlich nicht verlassen. Der Grund dafür ist aber nicht, weil die Ökonomie der Narrativität die „historischen Tatsache“ verfälschte, sondern weil ihre Mechanismus per se der Kommunikation des abgelaufenen Geschehens eingebaut sind. Riceour sieht die Geschichte ebenso an die Logik des Erzählens wie an die Vorstellung von Zeit gebunden. Letzteres ist gewissermaßen selbst eine Erzählung, während diese wiederum durch die Vorstellung von Zeit organisiert wird. Da die Geschichte, Ricoeur zufolge, also immer an die Zeit und die Veränderung gebunden ist, bleibt sie auch an die menschlichen Handlungen gebunden, die, hier bezieht er sich auf Karl Marx, permanenten Geschichte machen unter Umständen, die sie selbst nicht gemacht haben. „Directement ou indirectement, l’histoire est celle des hommes qui sont les porteurs, les agents et les victimes des forces, des institutions, des fonctions, des structures dans lesquelles ils sont inseres.“ Es besteht für sie daher ständig die hermeneutische Not, die Umstände ihres gegenwärtigen Handelns zu verstehen.

Michael Andre Bernsteins Konzept des „back shadowing“. Die rückwirkende Überschattung durch das Wissen um spätere Ereignisse erschwert eine unvoreingenommene Interpretation der Quelle.

Notes

Source
↳ Michael Andre Bernstein, Foregone Conclusions. Against apocalyptic history, Berkeley 1994, S. 16.